Herzinfarkt unter 50? Blutfette beachten! Lipoprotein(a) bestimmen!
Infarktprävention: Die gemeinsame Öffentlichkeitsaktion von DGK, DGA, DGPR, DGFF, LVSPR, der Selbsthilfegruppe Lipidhilfe-Lpa und Deutscher Herzstiftung will anlässlich des Weltherztages Ärztinnen und Ärzte sensibilisieren, den Fettstoffwechsel bei jüngeren Infarktpatient*innen genauer unter die Lupe zu nehmen.
Von Dr. Manju Guha
Herzinfarkte im jüngeren Alter sind selten, aber häufiger als vermutet. Eine Studie am Bremer Herzzentrum hatte schon 2015 gezeigt, dass jeder 15. Infarktpatient jünger als 45 Jahre ist. 80 % der Betroffenen sind männlich. Bei jungen Patientinnen und Patienten verläuft der Infarkt oft schwerer, ein höherer Anteil als bei den Älteren überlebt das Jahr nach dem Ereignis nicht (höhere Reanimationsrate, höhere Sterblichkeit; [1]). Das ist umso unverständlicher und belastender für junge Betroffene ohne klassisches Risikoprofil für eine KHK.
Angeborene Fettstoffwechselstörungen, wie eine familiäre Hypercholesterinämie (FH) oder ein hoher Lipoprotein(a)-Spiegel (Lp(a)) steigern das kardiovaskuläre Risiko für eine KHK und für Aortenklappenstenosen maßgeblich. Sie werden aber in den gebräuchlichen Risikotabellen nicht abgebildet. Dabei ist Lp(a) wie das LDL-Cholesterin ein eigenständiger Risikofaktor.
Lp(a) ähnelt in seiner Zusammensetzung dem LDL (low-density lipoprotein), unterscheidet sich aber in seinem Eiweißprofil. Es ist neben dem Apolipoprotein B (Apo-B) auch mit Apolipoprotein A (Apo-A) bestückt, das die Arteriosklerose fördert, wie es schon in einer prospektiven Kohortenstudie, der Copenhagen City Heart Study, mit fast 24.000 Teilnehmern 1975 beschrieben wurde [2]. Apo-A erhöht durch seine gerinnungsfördernden Eigenschaften das Thromboserisiko in den Gefäßen. Der Spiegel bleibt im Blut konstant und ändert sich im Laufe des Lebens nicht. Ernährung, Körpergewicht, Statine oder Sport haben keinen Einfluss. Aufgrund der genetischen Disposition wurde die Empfehlung zu einer Bestimmung des Lp(a)-Wertes einmal im Leben in die ESC-Leitlinie zum Management von Fettstoffwechselstörungen aufgenommen (Klasse-IIa-Empfehlung; [3]).
Welche therapeutischen Optionen stehen zur Verfügung?
Die bisher einzig wirksame Therapie ist die in der Regel wöchentliche und lebenslang kontinuierlich durchgeführte Lipid-Apherese, die nach Antragstellung von der GKV finanziert wird. Sie führt zu einer 60–70 %igen Senkung des Lp(a) und zur Stabilisierung der Plaquemorphologie. Die Pro(a)LiFe-Studie mit prospektivem Multicenter-Design bestätigte, dass die Lipid-Apherese mit zunehmender Apheresedauer zur effektiven Prävention kardiovaskulärer Ereignisse führt [4]. Die Infarktrate kann um 97 % gesenkt werden [5]. Aktuell wird eine europäische Multicenterstudie zum Effekt der Apherese im Vergleich zu konservativer Therapie durchgeführt [6].
Palacersen, ein Antisense-Oligonukleotid und spezifischer Lp(a)-Senker, der bei monatlicher Gabe zu einer 80–90 %igen Absenkung führt, wird aktuell in einer Phase-III-Studie hinsichtlich der Reduktion kardiovaskulärer Ereignisse bei ca. 8.000 Patientinnen und Patienten geprüft. Studienergebnisse zu weiteren spezifischen Lp(a)-Senkern werden in den nächsten Jahren erwartet.
Angeborene Störungen des Fettstoffwechsels zu selten beachtet
In den Niederlanden wird flächendeckend gescreent, bei einem positiven Befund auch Verwandte ersten und zweiten Grades. Die Versorgungswirklichkeit in Deutschland ist dagegen noch weit von der ESC-Empfehlung der Messung des Lp(a)-Spiegels entfernt. In der akutmedizinischen Behandlung von Infarktpatient*innen spielen angeborene Fettstoffwechselstörungen bisher häufig eine untergeordnete Rolle.
Der Lp(a)-Wert sollte einmal im Leben bestimmt werden.
Nach aktuellen deutschlandweiten Erhebungen wird der Lp(a)-Wert nach einem Herzinfarkt vor dem 60. Lebensjahr nur bei etwa 5 % der Betroffenen bestimmt. Selbst bei jahre- bis jahrzehntelangem KHK-Verlauf wird oft erst spät nach einer FH oder erhöhten Lp(a)-Werten gesucht. Das wiederholt vorgetragene Argument, die Bestimmung lohne sich nicht, weil keine Therapie zur Verfügung stehe, halten wir für unbegründet.
- Alle Infarktpatienten haben einen Anspruch auf eine Ursachenabklärung, soweit dies möglich ist.
- Die Betroffenen benötigen in ihrer Hilflosigkeit besondere Aufklärung durch fachkundige engagierte Ärzte.
- Eine diagnostische Aufarbeitung ist auch für Therapie und Beratung der Familienangehörigen wichtig.
Daneben können gut informierte und geschulte Betroffene besser motiviert werden, einen gesunden Lebensstil einzuhalten. Gemeinsam mit den behandelnden Ärztinnen und Ärzten könnte ein Ziel in einer besonders intensivierten LDL-Senkung deutlich < 55 mg/dl bzw. < 1,4 mmol/l liegen. Zudem könnte die
- Mitarbeit in einer Selbsthilfegruppe ihr Krankheitsverständnis fördern und
- die Teilnahme an wissenschaftlichen Studien ihre Versorgung verbessern.
Gemeinsame Öffentlichkeitsarbeit Deutscher Fachgesellschaften
Nach jahrelanger Erfassung und Betreuung jüngerer Herzinfarktpatient*innen mit erhöhtem Lp(a) in Bad Gottleuba/Sachsen gründete sich 2019 unter wesentlicher Mitwirkung des Landesverbandes Sachsen (LVSPR) in Dresden die digitale Selbsthilfegruppe für Lp(a)-Patientinnen und Patienten (https://lipidhilfe-lpa.de). Dank unbürokratischer Unterstützung von Verbänden und Krankenkassen breiteten sich die Aktivitäten der Selbsthilfegruppe schnell aus. Zahlreiche digitale Veranstaltungen wurden angeboten und ein eigener YouTube-Kanal eingerichtet, auf dem sich Betroffene schnell und umfassend informieren können.
Die Öffentlichkeitsaktion am 29. September 2022 wird in den jeweiligen Organen der vier Fachgesellschaften, aber auch in der überregionalen Presse publiziert und in den sozialen Medien verbreitet. Deutschlandweit werden Veranstaltungen zum Thema vererbte Stoffwechselstörungen für Patientinnen und Patienten und Ärztinnen und Ärzte stattfinden und es wird einen Image-Film geben.
Wen soll die Aktion erreichen?
Das Aktionsbündnis möchte niedergelassene Fachärzt*innen, Kliniker*innen und Hausärzt*innen auf das Thema aufmerksam machen und dafür interessieren, bei jungen Infarktpatient*innen regelhaft nach angeborenen Fettstoffwechselstörungen zu suchen.
Die DGFF stellt gut verständliches Informationsmaterial zur Verfügung. Auf dem YouTube-Kanal der Selbsthilfegruppe sind Schulungsveranstaltungen abrufbar.
Zum Artikel, erschienen in den Cardio News© Cardio News, von Dr. Manju Guha, veröffentlicht: 15.09.2022 // https://app.cardionews.de/DGK/Herzinfarkt-unter-50-Blutfette-beachten-Lipoproteina-bestimmen-432395.html