Neuigkeiten aus der Kardiologie: Die wichtigsten Erkenntnisse vom ESC 2024

von Sophie Schäfer

Europäische Kardiologenkongress (ESC 2024)

Der Europäische Kardiologenkongress (ESC 2024) in London ist das weltweit größte Treffen von Kardiologie-Experten und brachte eine Fülle neuer Forschungsergebnisse sowie Empfehlungen hervor, die die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen betreffen. Im Folgenden werden drei ausgewählte, zentrale Neuerungen und Studien vorgestellt, die von besonderer Relevanz sind und sowohl Auswirkungen auf die kardiologische Praxis als auch auf den Alltag von Patienten haben könnten.

1. Neue Leitlinie zum Bluthochdruck

Bluthochdruck (Hypertonie) ist einer der größten Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und trägt weltweit erheblich zur Verkürzung der Lebenserwartung bei. Umso wichtiger sind klare Leitlinien für die optimale Blutdruckeinstellung. Die neue Hypertonie-Leitlinie, die auf dem ESC 2024 präsentiert wurde, bringt zwei wesentliche Neuerungen mit sich.

Die erste große Änderung ist die Einführung einer neuen Kategorie: der erhöhte Blutdruck, definiert durch Werte von 120–139 mmHg systolisch und 70–89 mmHg diastolisch. Diese Kategorie liegt zwischen normalem Blutdruck (unter 120/70 mmHg) und Bluthochdruck (über 140/90 mmHg). Zum einen soll die Leitlinie eine präzisere Einteilung und zum anderen frühzeitige präventive Maßnahmen ermöglichen. Besonders wichtig ist das für Menschen mit zusätzlichen Risikofaktoren, beispielsweise bei bereits bestehenden Herz-Kreislauf-Erkrankungen, wie Diabetes, Nierenschwäche oder familiärer Hypercholesterinämie. Bei diesen Patienten wird empfohlen, nach einer dreimonatigen Lebensstiloptimierung medikamentös zu behandeln, wenn der Blutdruck weiterhin über 130/80 mmHg liegt.

Die zweite Neuerung betrifft den Ziel-Blutdruck. Für fast alle Patienten unter 85 Jahren wird ein systolischer Zielwert von 120–129 mmHg angestrebt, sofern dieser gut vertragen wird. Das gilt nun auch für ältere Menschen, solange sie sich in einer stabilen körperlichen Verfassung befinden. Betont wurde, dass diese Zielwerte jedoch individuell angepasst werden können. Aufgrund der neuen, vereinfachten Herangehensweise kann eine klare Orientierung für Ärzte und Patienten geboten werden. Gleichzeitig wird die Wichtigkeit, Therapieziele individuell und behutsam umzusetzen, hervorgehoben.

2. ABYSS-Studie: Betablocker nach Herzinfarkt – Absetzen oder beibehalten?

Die zweite wichtige Studie vom ESC 2024, die ABYSS-Studie, beschäftigt sich mit der Frage, ob Betablocker nach einem Herzinfarkt abgesetzt werden können, wenn keine weiteren Gründe, wie beispielsweise eine Herzschwäche, bestehen. Betablocker waren lange Zeit fester Bestandteil der Therapie nach einem Herzinfarkt, um das Herz zu entlasten und um erneute Infarkte zu verhindern. In den letzten Jahren ging der Trend jedoch dahin, diese Medikamente nach etwa einem Jahr abzusetzen, wenn die Herzfunktion stabil bleibt.

Die französische ABYSS-Studie untersuchte 3.698 Patienten mit stabiler Herzfunktion nach einem Herzinfarkt (linksventrikuläre Ejektionsfraktion ≥ 40 %) und verglich die Risiken bei Patienten, die Betablocker absetzten, mit denen, die die Therapie fortführten. Der Studienendpunkt umfasste schwerwiegende Ereignisse wie Tod, erneuter Herzinfarkt, Schlaganfall oder Krankenhausaufenthalte aufgrund von Herzproblemen. Es zeigte sich, dass Patienten, welche die Betablocker absetzten, häufiger im Krankenhaus behandelt werden mussten (23,8 % vs. 21,1 %). Der Unterschied war nicht gravierend, deutet aber darauf hin, dass eine Fortsetzung der Betablocker-Therapie sicherer ist. Zudem verbesserte das Absetzen des Medikaments nicht die Lebensqualität der Patienten.

Es wird daher empfohlen, Betablocker auch bei stabilen Patienten nach einem Herzinfarkt weiter zu verabreichen, es sei denn, es treten erhebliche Nebenwirkungen auf. Wichtig ist jedoch, die Therapie individuell anzupassen, da Betablocker insbesondere bei sportlich aktiven Menschen Nachteile haben können. Da Bewegung eine entscheidende Rolle bei der Rehabilitation nach einem Herzinfarkt spielt, sollten Patienten in Absprache mit ihrem Kardiologen individuell entscheiden, ob ein Absetzen sinnvoll ist.

3. Der richtige Zeitpunkt für die Einnahme von Blutdruckmedikamenten

Ein weiteres kontroverses Thema ist die Frage, wann Blutdruckmedikamente eingenommen werden sollten – morgens oder abends. Bisherige Studien deuteten darauf hin, dass die abendliche Einnahme möglicherweise vorteilhafter sei, da der Blutdruck physiologisch nachts abfällt und erhöhte nächtliche Blutdruckwerte mit einem höheren Risiko für Schlaganfälle und Herzinfarkte verbunden sind.

Neue Studien, die auf dem ESC 2024 vorgestellt wurden, widerlegen jedoch diese Annahme. Zwei Untersuchungen, die BedMed-Studie mit 3.357 Bluthochdruck-Patienten und die BedMed Frail-Studie mit 776 älteren Patienten, zeigen keinen Unterschied zwischen der Einnahme der Medikamente am Morgen oder Abend in Bezug auf das Herz-Kreislauf-Risiko. Das Ergebnis: Es spielt keine Rolle, zu welcher Tageszeit die Blutdruckmedikamente eingenommen werden.

Die wichtigste Erkenntnis aus diesen beiden Studien ist, dass die Patienten ihre Blutdruckmedikamente zu dem Zeitpunkt einnehmen sollten, an dem sie dies am zuverlässigsten tun können. Da das Risiko für Herz-Kreislauf-Ereignisse durch die Einnahmezeit nicht beeinflusst wird, bietet dies mehr Flexibilität und hilft, die Therapie langfristig besser einzuhalten.

Fazit

Insgesamt brachte der ESC 2024 wichtige Erkenntnisse, die die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen in den kommenden Jahren prägen könnten. Die Einführung der Kategorie erhöhter Blutdruck und die Vereinfachung des Zielwertes in der Bluthochdrucktherapie bieten klare Orientierungshilfen für Ärzte und Patienten. Die ABYSS-Studie zeigt, dass die Fortführung von Betablockern nach einem Herzinfarkt sicherer ist, auch wenn ein Absetzen in Einzelfällen sinnvoll sein kann. Und schließlich belegen die neuen Studien zur Einnahmezeit von Blutdruckmedikamenten, dass es keinen Unterschied macht, ob diese morgens oder abends eingenommen werden, was Patienten mehr Flexibilität in ihrem Alltag ermöglicht.

Diese Entwicklungen können die Lebensqualität von Patienten mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen erheblich verbessern und tragen dazu bei, individuelle Therapien effektiver und praktikabler zu gestalten.