Ausgeprägt erhöhter Lipoprotein(a)-Spiegel

Schwerwiegender kardiovaskulärer Risikofaktor

Ein ausgeprägt erhöhter Lipoprotein(a)- Spiegel ist ein schwerwiegender Risikofaktor für frühzeitig auftretende oder schwer verlaufende Gefäßkomplikationen. Die Bedeutung dieses Risikofaktors ist bisher noch nicht ausreichend bekannt. Lipoprotein(a) [Lp(a)] sollte bei allen Patienten mit frühzeitig auftretenden oder schwer progredient verlaufenden Gefäßerkrankungen bestimmt werden. Da Lp(a) zu 70–80 % genetisch determiniert ist, genügen 1 oder 2 Messungen. Der Erbgang ist autosomal dominant. Wegen der starken genetischen Prägung sind auch Untersuchungen bei den Verwandten 1. und 2. Grades zu empfehlen. Wir haben am Klientel unserer Fettstoffwechselambulanz gezeigt, dass mit steigendem Lp(a)-Spiegeln die Häufigkeit kardiovaskulärer Ereignisse signifikant steigt, besonders, wenn ein zweiter schwerwiegender Risikofaktor vorliegt [1].

Lipoprotein(a) ist ein Molekül, das dem LDL-C-Molekül ähnelt, aber auch strukturelle Ähnlichkeiten mit dem Plasminogen aufweist und infolgedessen prothrombotisch wirkt.

Unbefriedigend sind bisher die Möglichkeiten der Behandlung erhöhter Lp(a)-Spiegel. Bis Anfang 2013 stand in Deutschland ein Nikotinsäurepräparat zur Verfügung, das wegen ungünstiger Studiendaten vom Markt genommen wurde. Die Indikation einer Lp(a)-Erhöhung war nicht geprüft und es senkte erhöhte Lp(a)-Spiegel nur um 20–30 %, was bei den meisten Patienten nicht ausreichend ist. Bei der Behandlung erhöhter Lp(a)-Spiegel steht die maximal mögliche Reduktion aller anderen wichtigen Risikofaktoren im Vordergrund. Besondere Bedeutung haben die Reduktion des LDL-C-Spiegels in den Bereich <2,6 mmol/l (<100 mg/dl), besser noch <1,8 mmol/l (<70 mg/dl) und die Beendigung des Rauchens als besonders schwerwiegende Risikofaktoren für die Ausprägung der Arteriosklerose. Auch die Optimierung der Triglyzeride und des HDL-C-Spiegels, die eventuelle Verbesserung der Einstellung eines Diabetes und einer Hypertonie sind wichtig. Erhöhte Lp(a)-Spiegel können weder durch Ernährungsumstellung noch durch Statine, Fibrate, Ezetimib oder Anionenaustauscherharze beeinflusst werden. Bei Lp(a)-Spiegeln >600 mg/l (>60 mg/ dl) und progredienten Gefäßkomplikationen besteht in Deutschland die Indikation zur Lipoprotein-Apherese. Unter dieser Behandlung können die Lp(a)-Spiegel um 60–70 % gesenkt werden, auch die LDL-C-Spiegel fallen um 60– 70 %. Die Behandlungen müssen im wöchentlichen Abstand durchgeführt wer- den, da beide Spiegel innerhalb einer Woche wieder ansteigen. Da die Be- handlungen sehr kostenintensiv sind, ist eine Einzelfallprüfung der Krankenkasse, im ambulanten Bereich durch die jeweiligen Apherese-Kommissionen der Kassenärztlichen Vereinigung, notwendig. Wir konnten in eigenen Untersuchungen nachweisen, dass unter einer laufenden Lipoprotein-Apherese-Behandlung die kardiovaskuläre Morbidität und Mortalität signifikant gesenkt werden konnte [2].

Fallbericht

Bei einer jetzt 74-jährigen normalgewichtigen Patientin (Körpergewicht: 71kg, Körpergröße: 1,69 m, BMI: 24,5 kg/m2, Nichtraucherin) ist seit 2005 eine Hypertonie bekannt. Erhöhte Blutfettwerte wurden erstmals 2010 festgestellt. Xanthome oder Xanthelasmata bestehen bei der Patientin nicht. Die Familienanamnese ergab, dass der Vater mit 55 Jahren an einem „Herzschlag“ verstarb.

Bei der Patientin trat 2011 eine Claudicatio intermittens-Symptomatik in beiden Beinen auf, rechts stärker als links, (anfangs nur Wadenschmerzen, dann Beschwerden im gesamten Bein, schmerzfreie Gehstrecke 200 m). Es wurde eine pAVK vom Oberschenkeltyp rechts im Stadium IIb festgestellt, die im Januar 2012 eine PTA der Arteria poplitea notwendig machte. Da beim Bergan- laufen eine Angina Pectoris-Symptomatik auftrat, erfolgte eine entsprechende Diagnostik. Bei der Ergometrie, die bei 100 Watt wegen muskulärer Erschöpfung abgebrochen werden musste, traten ascendierende ST-Streckenveränderungen von 0,20 mV auf. In der darauf folgenden Koronarangiografie zeigte sich eine koronare Dreigefäßerkrankung mit einer hochgradigen Hauptstammstenose der linken Koronararterie (75 %ige LCA- und RIVA- und 70 %ige RIM-, RCX- und RCA-Stenosen). Dies war eine dringende Indikation für eine koronare 3-fach Bypass-OP, die im April 2012 durchgeführt wurde.

Durch den Hausarzt der Patientin erfolgte die Überweisung zu uns, da Un- verträglichkeiten von Statinen (Hautausschlag unter Atorvastatin, allerdings in Kombination mit einem Antibiotikum gegeben; Muskelschmerzen unter Simvastatin) und Ezetimib bestanden. Die bei uns durchgeführten Laboruntersuchungen zeigten eine ausgeprägte Hypercholesterinämie mit einem LDL-C-Wert von 5,07 mmol/l (196,0 mg/dl) (ohne medikamentöse lipidsenkende Therapie) und einen massiv erhöhten Lp(a)-Spiegel von 4068 mg/l (407 mg/dl; Normalwert <250 mg/l bzw. <25 mg/dl). Beide Erkrankungen sind als entschei- dende Ursachen für die schwer progredienten Gefäßkomplikationen anzusehen. Die Triglyzeride lagen mit 0,85 mmol/l (74,4 mg/dl) im HDL-C war mit 1,61 mmol/l (61,9 mg/ dl) eher hoch. Der hohe HDL-C-Spiegel stellte bei der Patientin offenbar keinen wesentlichen Schutz dar. Ein Diabetes mellitus und eine Schilddrüsenfunktionsstörung (Euthyreose unter einer Substitutionstherapie bei Zustand nach Schilddrüsenoperation) konnten bei der Patientin ausgeschlossen werden. Da bei der Patientin eine dringende Indikation für ein Statin gegeben ist, er- folgte in unserer Klinik für Dermatologie eine Allergietestung bezüglich Fluvastatin, Pravastatin und Atorvastatin (Prick- und Epikutantest, orale Provokation). Dabei konnten Allergien gegen Pravastatin, Fluvastatin und Atorvastatin ausgeschlossen werden, sodass wir nach Abschluss der Allergietestung eine Therapie mit Pravastatin und später mit Atorvastatin einleiteten. Unter Fluvastatin traten Muskelbeschwerden auf. Relativ schnell nach der Überweisung der Patientin begannen wir wegen des massiv erhöhten Lp(a)-Wertes mit der Lipoprotein-Apherese-Therapie. Trotzdem wurde neun Monate nach Beginn der Apherese eine weitere Gefäßoperation notwendig.

Eine hochgradige filiforme kurzstreckige asymptomatische Arteria carotis interna-Stenose rechts musste mittels Eversionsendarteriektomie behandelt werden – innerhalb eines Jahres war es zu einem raschen Progress der Stenose gekommen (ambulante Duplexuntersuchungen der Karotiden zeigten bis 07/2010 lediglich kleine Plaques; Intrastenotische Flussraten an der rechten Arteria carotis interna: vor OP 04/2012 0,6 m/s, 11/2012 bereits 2,4 m/s, 01/2013 3,0 m/s, dann 05/2013 4,5 m/s).

Nach gut überstandener Carotis-OP konnte die Patientin ca. vier Wochen nach der Operation die Lipoprotein-Apherese fortsetzen. Ein Aortenaneurysma konnte ausgeschlossen werden. Wegen des hohen Vererbungsrisikos empfahlen wir eine Untersuchung der Tochter und der zwei Enkelkinder der Patientin. Dabei wurde bei dem erst zwölf Jahre alten Enkel ein massiv erhöhter Lp(a)-Wert von 2270 mg/l (227 mg/dl) gemessen, er wird nun in der Kinderklinik unseres Hauses mitbetreut. Auch die 49 Jahre alte Tochter und die 23 Jahre alte Enkelin haben deutlich erhöhte Lp(a)-Normalbereich, HDL-C war mit 1,61 mmol/l (61,9 mg/ dl) eher hoch. Der hohe HDL-C-Spiegel stellte bei der Patientin offenbar keinen wesentlichen Schutz dar. Ein Diabetes mellitus und eine Schilddrüsenfunktionsstörung (Euthyreose unter einer Substitutionstherapie bei Zustand nach Schilddrüsenoperation) konnten bei der Patientin ausgeschlossen werden.

Da bei der Patientin eine dringende Indikation für ein Statin gegeben ist, er- folgte in unserer Klinik für Dermatologie eine Allergietestung bezüglich Flu- vastatin, Pravastatin und Atorvastatin (Prick- und Epikutantest, orale Provoka- tion). Dabei konnten Allergien gegen Pravastatin, Fluvastatin und Atorvasta- tin ausgeschlossen werden, sodass wir nach Abschluss der Allergietestung eine Therapie mit Pravastatin und später mit Atorvastatin einleiteten. Unter Fluvastatin traten Muskelbeschwerden auf. Relativ schnell nach der Überweisung der Patientin begannen wir wegen des massiv erhöhten Lp(a)-Wertes mit der Lipoprotein-Apherese-Therapie. Trotzdem wurde neun Monate nach Beginn der Apherese eine weitere Gefäßoperation notwendig.

Eine hochgradige filiforme kurzstreckige asymptomatische Arteria carotis interna-Stenose rechts musste mittels Eversionsendarteriektomie behandelt werden – innerhalb eines Jahres war es zu einem raschen Progress der Stenose gekommen (ambulante Duplexuntersuchungen der Karotiden zeigten bis 07/2010 lediglich kleine Plaques; Intrastenotische Flussraten an der rechten Arteria carotis interna: vor OP 04/2012 0,6 m/s, 11/2012 bereits 2,4 m/s, 01/2013 3,0 m/s, dann 05/2013 4,5 m/s).

Nach gut überstandener Carotis-OP konnte die Patientin ca. vier Wochen nach der Operation die Lipoprotein-Apherese fortsetzen. Ein Aortenaneurysma konnte ausgeschlossen werden. We- gen des hohen Vererbungsrisikos empfahlen wir eine Untersuchung der Tochter und der zwei Enkelkinder der Patientin. Dabei wurde bei dem erst zwölf Jahre alten Enkel ein massiv erhöhter Lp(a)-Wert von 2270 mg/l (227 mg/dl) gemessen, er wird nun in der Kinderklinik unseres Hauses mitbetreut. Auch die 49 Jahre alte Tochter und die 23 Jahre alte Enkelin haben deutlich erhöhte Lp(a)-Werte [Tochter: LDL-C: 3,92 mmol/l (151,6 mg/dl), Lp(a): 1431 mg/l (143,1 mg/ dl); Enkelin: LDL-C: 3,96 mmol/l (153,1 mg/dl), Lp(a): 2076 mg/l (207,6 mg/ dl)]. Bei der Tochter der Patientin wurde in Anbetracht des Alters eine lipidsenkende Therapie mit einem Statin begonnen, wobei das zuerst eingesetzte Simvastatin zu Muskelschmerzen führte, das danach eingesetzte Pravastatin aber gut vertagen wird und das LDL-C in den Zielbereich gesenkt werden konnte.

Bei der erst 23 Jahre alten Enkelin ist die Indikation für ein Statin als grenzwertig anzusehen, zumal sie noch keine Kinder hat und alle lipidsenkenden Medikamente 3–4 Monate vor einer geplanten Schwangerschaft abgesetzt werden müssen. Studien zu dieser Problematik fehlen völlig.

Leider rauchen Tochter und Enkeltochter der Patientin trotz unserer Empfehlung, dies nicht mehr zu tun. Notwendig sind bei der Tochter und den beiden Enkelkindern Duplexsonografien der Arteria carotis und Echokardiografien zum Ausschluss von Klappenverkalkungen und bei der Tochter zusätzlich eine Ergometrie zum Ausschluss einer KHK.

Fazit

—Lp(a) ist ein schwerwiegender isolierter Risikofaktor für die Entwicklung einer Arteriosklerose.

—Bei jedem Patienten mit sich frühzeitig entwickelnden oder schwer verlaufen- den Gefäßkomplikationen ist Lp(a) zu messen. Auch Bestimmungen dieses
Parameters bei den Verwandten 1. Grades sind indiziert.

—Lp(a) kann nicht durch Ernährungsumstellung, Statine, Fibrate, Ezetimib oder Anionenaustauscherharze beeinflusst werden.

—Bei (deutlich) erhöhten Lp(a)-Werten ist die optimale Einstellung aller an- deren Risikofaktoren von besonderer Bedeutung. LDL-C sollte <2,6 mmol/l (<100 mg/dl) gesenkt werden. Meist ist dazu eine Statintherapie notwendig.

—Bei progredienten Gefäßkomplikationen und einem Lp(a)-Spiegel >600 mg/l (>60 mg/dl) ist in Deutschland die Indikation für die Lipoprotein-Apherese gegeben, die allerdings eine Einzelfallentscheidung der jeweiligen Krankenkasse oder der Apherese-Kommission der zuständigen KV erforderlich macht. Mittels der Apherese-Therapie wird der Lp(a)-Spiegel akut um 60–70 % gesenkt.

Prof. Dr. med. Ulrich Julius, Vorstandsmitglied DGFF Med. Klinik u. Poliklinik III Universitätsklinikum, Carl Gustav Carus Fetscherstraße 74, 01307 Dresden

Sabine Fischer (Dresden), Ulrich Julius (Dresden), Dirk Münch (Freital), Stefan R. Bornstein (Dresden) in Zusammenarbeit mit der Deutschen Gesellschaft zur Bekämpfung von Fettstoffwechselstörungen und ihren Folgeerkrankungen DGFF (Lipid-Liga) e.V. Vorsitzender: Prof. Dr. med. Karl Winkler, Freiburg erschienen in CARDIOVASC, 2013.